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Kölner Kult-Geschichten: Redaktion mit Rennstall

Kolumne von Rainer Braun
​Köln war in den 1970er und 1980er Jahren die Motorsport-Hauptstadt von Deutschland: Über eine Redaktion mit Rennstall, eine Fast-Pleite und eine Arzt-Empfehlung.

Die folgenden Episoden haben sich vor 55 Jahren begeben, Anfang März 1969. Ich war gerade von Wiesbaden nach Köln umgezogen und zum Neubürger der Rhein-Metropole geworden. Grund des Umzugs war der Aufbau einer neuen Redaktion, deren Redakteure das sportive Wochenblatt «Deutsche Auto Zeitung» (DAZ) produzieren sollten.

Die Redaktionsanschrift lautete Köln, Breite Straße 101. Rechts und gegenüber illustre Nachbarn in Gestalt der riesigen Gebäude von Karstadt und Dumont («Kölner Stadtanzeiger» und «Express»).

Unser Blatt sollte wöchentlich erscheinen ab April 1969 zum Preis von 70 Pfennigen (heute 35 Cent), mit allem rund ums Auto, Service, Zubehör und natürlich ganz viel Platz für Motorsport. Mein Engagement für Aufbau und Leitung der Sportredaktion hatte ich von Anfang zeitlich begrenzt und mir eine Rückkehr in meine alte Heimat Wiesbaden offengelassen.

Unser künftiger Verleger Hans Günther Lehmann galt als begeisterter Motorsport-Fan und hatte bereits 1967 die «Internationale Gesellschaft zur Förderung des Automobilsports» (IGFA) ins Leben gerufen. Ein Drei-Wagen-Team der IGFA, unter Anderen mit Helmut Kelleners und Hannelore Werner, sorgte für zahlreiche Erfolge in der damals angesagten Nachwuchs-Rennwagenklasse Formel V.

In die neue Redaktion brachte Lehmann allerdings nicht nur Ausstattung und Arbeitsmittel ein, sondern auch gleich noch einen rennfertigen Ford GT 40, der mit dem DAZ-Logo und der Fahrerpaarung Helmut Kelleners/Reinhold Joest in der Sportwagen-WM 1969 startete.

Das offensichtlich sehr teure Treiben des Verlegers verfolgte unser erster Chefredakteur Hans Wilhelm Gäb, später Vorstand bei Ford, Opel und GM-Europe, mit gemischten Gefühlen. Denn er sorgte sich zu Recht um den Fortbestand der noch jungen Redaktion samt des Produkts DAZ. Was die Fans draußen total schick fanden, strapazierte natürlich auf Dauer die Kontostände des Verlegers.

Den weiteren, bisweilen dramatischen Fortgang im fiskalischen Bereich will ich hier gar nicht weiter ausbreiten. Nur so viel sei gesagt – die hochtrabenden Aktivitäten unseres rennverrückten Verlegers, der inzwischen auch noch einen March 707-Sportwagen für Kelleners anschaffte, hätten das Blatt samt Redaktion schon im Folgejahr fast an den Rand des Ruins gebracht.

Der Geldfluss drohte jedenfalls zu versiegen, und erst eine mutige Rettungstat von Chefredakteur Gäb und die Übernahme durch den Hamburger Bauer Verlag retteten Redaktion und Magazin vor dem Exitus. Aus dem Wochenblatt «Deutsche Auto Zeitung» wurde bald die «Auto Zeitung» im neuen Format und 14-tägiger Erscheinungsweise.

Kaum zu glauben – 2024 feiert das Blatt nun sein 55-jähriges Jubiläum. Viele AZ-Redakteure der Anfangsjahre haben nach ihrer AZ-Zeit übrigens Karriere als PR-Manager in der Automobil-Industrie gemacht, neben Gäb auch Adolf Hüngsberg (Toyota), Jürgen Reinke (Ford, Opel, GM) und Rainer Nistl (Ford, Audi).

Mein anfangs einziger wirklich guter Kontakt in der fremden Stadt war zu dieser Zeit Rolf Stommelen, Porsche-Werksfahrer und großes Motorsport-Idol in Köln. Als ich ihm bei einem vorgelagerten Rennen beiläufig erzählt habe, dass ich demnächst berufsbedingt vorrübergehend nach Köln ziehen würde, bot er mir spontan seine Hilfe und Kontakte an «für den Fall, dass du was brauchst».

Und tatsächlich dauerte es nicht lange, bis ich Rolfs Köln-Kenntnisse benötigte. Weil ich ein gesundheitliches Problem mit mir rumschleppte, rief ich ihn von der Redaktion aus an und erkundigte mich nach einer Arzt-Empfehlung. «Da gehste zum Doktor Lemmer im Mauritiussteinweg», ließ er ohne lange nachzudenken wissen «und sagst einen schöne Gruß von mir.»

Sogleich machte ich mich auf den Weg zum angeratenen Medizinmann und platzierte bei der älteren Anmeldedame die Empfehlung von Rolf. Nachdem die Assistenz den Doktor per Haustelefon informiert hatte («Chef, da ist ein Freund vom Stommelen»), wurde ich ohne Zeitverzug am gut gefüllten Wartezimmere vorbei auf direktem Weg ins Sprechzimmer geschleust. Ich fand das irgendwie toll, dass der Name Stommelen solche Vorteile bringt.

Bei Eintritt ins Sprechzimmer bot sich mir ein eher ungewöhnliches Bild. In eine Rauchwolke gehüllt saß der Doktor als schemenhafte Figur hinterm Schreibtisch, vor sich eine Packung Zigaretten und ein leeres Schnapsglas. Nach kurzer Begrüßung und Austausch über den gemeinsamen Freund Stommelen dachte ich, dass ich nun mal mein Problem vortragen sollte.

Noch bevor ich schildern konnte, wo es denn zwickt, bot mir Dr. Lemmer eine Zigarette der Marke «Ernte 23» und einen Klaren an. Die halbvolle Flasche Schnapsflasche zog er aus der untersten Schublade seines schweren Eichenholz-Schreibtischs hervor und klärte mich in breitester kölschen Redensart auf: «Wissen se, so ne Schnaps het noch nie jeschadet und macht jesund.»

Nach dem Prösterchen ließ sich der unkonventionelle Doc dann doch noch zu einer kurzer Untersuchung mit Diagnose herab. Danach zückte er zügig seinen Rezeptblock und verordnete Tabletten. Dann komplementierte mich der lebens- und genussfrohe Mediziner mit besten Grüßen an Rolf zur Tür.

Diesen denkwürdigen ersten Arztbesuch in Köln habe ich bis heute genauso wenig vergessen wie die abenteuerliche Redaktionsgründung samt Rennwagennummer und Fast-Pleite im weiterem Verlauf.

In den folgenden Jahren gab es noch viele solcher typisch kölschen Ereignisse, die dafür gesorgt haben, dass mir die Stadt und deren Menschen ans Herz gewachsen sind. Vielleicht bin ich gerade wegen all dieser teilweise unglaublichen Episoden samt Familie bis heute in der Region geblieben, obwohl ich mir eigentlich nur ein zeitlich begrenztes Gastspiel am Rhein vorgenommen hatte.

Gerne lasse ich die SPEEDWEEK.com-Leser in den nächsten Wochen und Monaten in loser Folge an weiteren typischen «Kölsch-Geschichten» rund um den Motorsport Folge teilhaben. Material gibt es genug.


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